Januar
2015
Siegfried Schüller
Da werd ich zum Charlie – aber so was von ...
Die Opfer
der Terroranschläge in Frankreich sind noch nicht alle beigesetzt, schon
blasen die Hüter der öffentlichen Moral hierzulande zum Angriff. Sie reagieren
wie pawlowsche Hunde bei der Konditionierung: Kaum wittern
sie einen
nicht allzu weit entfernten Terroranschlag, da läutet bei ihnen das Glöckchen, läuft
ihnen das Wasser im Mund zusammen, und bellen sie nach mehr Überwachung, härterem
Durchgreifen und schärferen Gesetzen. (Weniger hellhörig – und mit jahrelanger Reaktionszeit – waren sie dagegen bei den Mordanschlägen
des NSU.)
Den sogenannten
Blasphemie-Paragrafen 166 des
Strafgesetzbuches – von dem bisher kaum jemand wusste, dass er überhaupt existiert – wollen sie nicht etwa
abschaffen, sondern verschärfen. Blasphemie,
Gotteslästerung also – oder womit auch immer man religiöse und weltanschauliche Gefühle verletzen und den
öffentlichen Frieden stören könnte – soll härter bestraft
werden. Um Gefühle zu schützen.
Konsequenterweise müssten die Moralhüter dann auch gleich den Koran und die
Bibel verbieten. (Lesen Sie dazu einen sehr interessanten und erhellenden Kommentar
in der "Zeit"!)
Unzählige Gräueltaten, Kriege und andere Verbrechen –
im Namen allah möglichen Götter und Götzen – wurden im Lauf der
Geschichte und bis heute mit religiösem Eifer und aus weltanschaulichen Gründen begangen. Wie viel Leid, Verleumdung,
Verfolgung, Folter und Morde gehen auf das Konto religiöser Gefühle? – Da
kann man eigentlich gar nicht genug Phemie blasen.
Vorsicht aber! Blasphemisten sollten zu ihrer Sicherheit nicht nur eine
Narrenkappe tragen, sondern auch eine schusssichere Weste. Denn: In
ihren religiösen Gefühlen Verletzte greifen gern zur Waffe.
Vielleicht meinen sie es
ja nur gut, die
Moralhüter und Gesetzesverschärfer – und wollen Karikaturisten und Satiriker
quasi in Schutzhaft nehmen vor den mörderischen Gefühlsausbrüchen religiöser Fanatiker?
–
Aber auf der einen Seite behaupten „Ich bin Charlie“ und auf der
anderen zur Jagd auf Blasphemisten blasen? – Das geht gar nicht, ihr Heuchler,
ihr janusköpfigen! Da
werd ich selbst zum Charlie, aber so was von.
Die
Leute von Charlie Hebdo haben Karikaturen gezeichnet und
veröffentlicht – und ließen sich nicht mundtot machen. Dafür wurden sie getötet.
Jetzt sollen die religiösen Gefühle
ihrer Mörder geschützt werden?
Hütet euch vor den selbsternannten Hütern
einer Moral, die
Freiheit und Meinungsfreiheit einschränken will. Solche Wächter und Verfechter sind die wohlmeinende Vorhut
von Intoleranz und Totalitarismus.
Toleranz ist kein Wunschkonzert. Sie
hört nicht auf, wo sie anfängt einem wehzutun, sondern erst dort, wo die Gewalt
gegen andere beginnt.
Danke für Ihre Toleranz!