Worte gegen den Wind ... Die Seite mit kritischer Lyrik und Satire

Startseite

Von A bis Z

Lesungen

Buchtipps

Links

Impressum/Kontakt

Hier gibt's von A bis Z Links zu allen Texten:

Abendspaziergang eines Poeten

Alles Euro, oder was?

Alles hat seinen Preis

Alles zu seiner Zeit

Alle tot?

Alternativlose Alternativen

Au Weimar!

Auf einmal sind wir Fremde

Ausgestanzt

Bäumchen wechsel dich

Bayern-Ballade

Bayernhymne neu

Beton vorm Kopf

Bilder aus meiner Natur

Braune Brut

Corona der Schöpfung

Cybersprung

Da werd ich zum Charlie

Das Ende

Das Wort zum Rosenmontag

Das Wunder von Ampfling

Der Besuch des weißen Vaters

Der Besucherzähler

Der wahre Glaube ...

Deutsche Demokratische Revolution

Deutschland braucht Westerwelle

Die deutsche Orgel

Die deutsche Stimmgabel

Die große Wahl

Die Macht der Lyrik

Die Maske machts?

Die neuen Kometen

Die Wort-Wende

Ein ganz normaler Abend ...

Eiszeit

Freundliche Mörder

Frohe Botschaft?

Gedanken über Gott und die Welt

Glaube und Täuschung

Großer Weißer Adler

Grüße aus dem Hartz

Gute Nachrichten

Guttidämmerung

Human Rights Deal

Idole

Juristen

Kein guter Stihl

Kein Wintermärchen

Klage 12773

Landschaft mit Herzstörungen

Lebensbaum

Mecklenburger Alleegie

Minilohn (Kennst du das Land)

Missstände muss man bekämpfen

Morgen im März

Nach langem Marsch

Nachruf auf eine Legende

Rede von Slavoj Zizek

Regierende habens nicht leicht

Revolution international

Rotkäppchen reloaded

Rückkopplungen einer Donnerstagsdemo

Sarairgendjewo

Schengen? - Geschenkt!

Scheuergate - Hundekacke und Kinderwunsch

Schöner Sonntagmorgen

Stell dir vor

Tischgebet

Tschernobyl

Verkehrte (Um)welt

Von Kommas und Kröten

Vorschlag für neuen Eintrag ins deutsche Wörterbuch

Wackersdorf, Pfingsten '88

Wahlkrampf-Rap

Wahltag

Wahlversprechen kosten nichts

Warum führt die Lyrik so ein Schattendasein?

Warum "Worte gegen den Wind"

Was nicht im Lokalteil steht ...

Was wir sind

Wenn der Briefträger dreimal klingelt

Wer ist denn Sarrazin?

Wie Drögelmanns den Weltuntergang überlebten (Teil 1)

Wie Drögelmanns den Weltuntergang überlebten (Teil 2)

Wie Drögelmanns den Weltuntergang überlebten (Teil 3)

Wiedervereinigung nachgeholt

Windstiller Morgen am Ufer der Weichsel

Wortergreifung

Zorniges Poem

Zwei 11. September

Zwei kurze


Der wahre Glaube ist es wert, verteidigt zu werden

Im Herbst 1996 nahm ich an einer Lyrikertagung im Schwarzwald teil. (Beim dazugehörigen Gedichtwettbewerb hatte ich zuvor den 3. Platz errungen.) Obwohl ich die zwei Übernachtungen dort selbst bezahlen musste, wollte ich es mir nicht entgehen lassen, den Preis persönlich entgegenzunehmen.

Zum Abschluss der Tagung fand eine Lesung der Preisträger statt. Dabei trug ich unter anderem ein Gedicht vor, das den Sinn der zahlreichen Reisen des damaligen Papstes in die Länder der Dritten Welt in Frage stellte. Es bekam viel Beifall.
Am Ende der Lesung drängte sich ein älterer Herr durch die Menschenmenge vor dem Podium. Mit puterrotem Gesicht und hasserfülltem Blick steuerte er geradewegs auf mich zu.
Der Herr war mir bereits bekannt: Es war der pensionierte Direktor der Niederlassung einer Schweizer Großbank, der auch Gedichte schrieb, die er in Büchern veröffentlichte, deren Herausgabe er selbst bezahlte.
Wie ich es wagen könne, den Heiligen Vater in den Dreck zu ziehen, geiferte er mich unvermittelt an. Er fühle sich persönlich angegriffen dadurch.
Ich war perplex. "Tut mir leid, wenn ich Ihre religiösen Gefühle verletzt habe", sagte ich. Das sei nicht meine Absicht gewesen. Aber Kritik müsse doch erlaubt sein, auch am Papst. "Und Sie sind ja schließlich nicht der Papst und der Papst ist nicht der liebe Gott."

Das war Öl ins Feuer. Der Schweizer hob seinen rechten Arm.
Gleich geht er auf mich los, dachte ich, versuchte beschwichtigend zu lächeln und überlegte gleichzeitig, was ich tun sollte, wenn er mich wirklich schlagen würde. Schließlich war er mindestens 20 Jahre älter als ich. Er wagte es aber nicht. Und ein paar der Leute, die uns umringten, wären auch bestimmt dazwischengegangen.
In der Jury habe er noch für mich gestimmt, sagte der Bankier mit erbitterter Miene, aber wenn er das geahnt hätte … "Ich entziehe Ihnen hiermit mein Votum!", verkündete er. "Und ich erkenne Ihnen den Preis ab, Sie haben ihn nicht verdient."

Was sollte ich tun? Den Preis zurückgeben konnte ich schlecht, ich hatte ihn ja noch gar nicht erhalten. (Er bestand in der kostenlosen Veröffentlichung dreier Gedichte in dem Verlag, der den Preis ausgeschrieben und die Tagung veranstaltet hatte.)
"Dazu ist es jetzt wohl zu spät", sagte ich also. Das sah er dann wohl ein, denn er drehte sich wortlos um und ging.

500 Jahre früher aber und er hätte mich wahrscheinlich - korrekterweise erst nach Folter und peinlicher Befragung - auf einen eidgenössischen Scheiterhaufen gezerrt. Nein, zerren lassen. Aber er war ja nur ein kleiner Bankdirektor aus der Schweiz des 20. Jahrhunderts und nicht der Großinquisitor. Gott sei Dank und seinem Stellvertreter!

Aus der ersten Reihe der Umstehenden trat ein anderer, noch älterer Herr auf mich zu und …
… klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter.
"Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen", sagte er. "Mir hat Ihr Gedicht gefallen. Ich mag ihn auch nicht, den Papst."
Noch einer also, der mich missverstanden hatte, allerdings auf sympathischere Art als der dichtende Bankdirektor.
Ein Bankdirektor, ausgerechnet! Und aus der Schweiz. Dem Land, das zwar mit der Schweizergarde sozusagen die Security des Vatikans stellt, das aber auch gerne und mit Gewinn das zusammengeraffte Vermögen von Mafiosi, Diktatoren und Steuerhinterziehern aus der ganzen Welt verwaltet.
Im Nachhinein denke ich, die Gefühle dieses Moralisten waren es doch wert ein bisschen verletzt zu werden.
Der Moderator der Tagung besänftigte schließlich die aufgewühlte Stimmung im Saal und ermahnte alle Anwesenden: Man dürfe ruhig unterschiedlicher Meinung sein, solle dabei aber doch bitte anständig bleiben.
Wen er damit meinte, sagte er allerdings nicht.

Zurück ] Weiter ]