Worte gegen den Wind ... Die Seite mit kritischer Lyrik und Satire

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Wie Drögelmanns den Weltuntergang überlebten (Teil 1)

Wie Drögelmanns den Weltuntergang überlebten (Teil 2)

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Windstiller Morgen am Ufer der Weichsel

Wortergreifung

Zorniges Poem

Zwei 11. September

Zwei kurze


Nachruf auf eine Legende
Charles Bukowski ist tot. 1 Gerade haben sie es in der Tagesschau gebracht – sogar mit Bild. "Er schrieb über Sex und Suff und zeigte dabei seine Verachtung für das Bürgertum der amerikanischen Mittelklasse", so die Tagesschausprecherin. Halb angewidert, halb amüsiert las Sabine Christiansen diese Meldung – es wird wohl das erste Mal in ihrer Karriere gewesen sein, dass sie solche Worte vor laufender Kamera in den Mund nehmen durfte.

Ja, weit hast Du es gebracht, Hank. Jetzt bist Du tot und gehörst damit zu denen, die ich ganz bestimmt nicht mehr persönlich kennen lernen werde. Auf Sex und Suff haben sie Dich reduziert und auch die Verachtung nicht vergessen, aber wahrscheinlich wäre das auch ganz in Deinem Sinn gewesen. Für die meisten (Schöngeister, Spießer, Belletristen und ihre Kritiker) war dieser Bukowski eh nur ein alter Säufer und Hurenbock, bekannt vor allem – mehr noch als der vergleichsweise brave und intellektuelle Henry Miller – für seine literarischen Schweinereien, auch wenn sie vielleicht nie auch nur eine Zeile seiner Prosa gelesen haben, geschweige denn seine Gedichte.

Für manche verbohrten Literatinnen war er ein sexistischer Trunkenbold, ein Supermacho mit Säufervisage, d i e Horrorgestalt feministischer Alpträume. Na ja, mit einem Brett vorm Kopf sieht eben vieles anders aus, und es war ja auch nicht gerade Frauenliteratur oder Erbauliches fürs Kaffeekränzchen, was er da in langen Nächten in seine Schreibmaschine gehämmert hat.

Aber ob ihr's glaubt oder nicht: Bukowski war ein eher sanfter, zurückhaltender Typ, der Wert darauf legte, dass er bei der schonungslosen Schilderung seiner Exzesse selbst fast immer am schlechtesten wegkam. Er war ein sensibler Beobachter und guter Darsteller – vor allem seiner eigenen Legende. Ein paar Kritiker gingen so weit, ihn für einen verkappten Faschisten zu halten und warfen ihm vor, dass er sich geweigert hatte, gegen Hitler und seine Spießgesellen in den Krieg zu ziehen. Aber stellt euch vor, es war Krieg – und wenigstens einer ist nicht hingegangen. Er zog es vor, eine Zeit lang in Knast und Irrenhaus zu verbringen – ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gab es in den USA nicht, aber auch vor einer deutschen Gewissensprüfungskommission hätte er wohl kaum bestanden.

Warum hätte er sich auch auf etwas einlassen sollen, das nichts mit ihm zu tun hatte, dessen Sinn ihm nicht einleuchten wollte. Hätte er erklären sollen, dass ihm der Platz an der Theke irgendeiner Kneipe lieber sei, als eine Freikarte für den Schützengraben; dass das Klappern seiner Schreibmaschine angenehmer klang, als das Rattern eines Maschinengewehrs; oder dass er sich auf einem wackligen Barhocker sicherer fühlte, als im Innern eines Panzers? 

Charles Bukowski, alias Henry Chinaski, hat lieber auf Pferde gesetzt, als auf die große Politik. Nach seinen öden Jobs wollte er lieber hungern und im eigenen Mief verkommen, und er zog es vor, Matratze, Rausch und Leiden an der Welt mit einer Frau zu teilen, als mit einem Haufen sexhungriger, sportbegeisterter amerikanischer Boys in der dumpfen Atmosphäre einer Kaserne eingesperrt zu sein.

Unter den Außenseitern und Verachteten der Gesellschaft hat er sich wohler gefühlt; bei den verkrachten Existenzen und Verlierern beiderlei Geschlechts war er zuhause. Bukowski kannte den amerikanischen Alptraum und kommentierte mit zynischem Humor den Aufstieg der Tellerwäscher zum Fensterputzer. Selbst die Straßenköter und streunenden Katzen vor seinem Haus beobachtete er nicht ohne Mitgefühl. Mit aggressiver Offenheit und mit der Zärtlichkeit des Großstadt-Krokodils beschrieb er seine Antihelden und teilte das Dasein der Underdogs und Undergroundpoeten. Bukowski hat dazugehört – wenn er es auch nicht geschafft hat, sich tot, dumm oder gleichgültig zu saufen, so gelang es ihm doch, aus einem katastrophalen Image ein Markenzeichen und aus einem namenlosen Undergrounddichter einen berühmten Schriftsteller zu machen.

Bukowski hat viele Fans und Nachahmer gefunden, nicht zuletzt dank einiger mutiger Verleger, die es gewagt haben, einer verlogenen Gesellschaft ihre Kehrseite zu zeigen, indem sie ihr Bukowskis wenig schmeichelhaften Spiegel vorhielten.

Für zahlreiche Autoren der Nach-68er-Jahre wurde Bukowski zum Vorbild und ist es geblieben (z. B. Jörg Fauser). Seinem Freund und deutschen Übersetzer Carl Weissner ist es hauptsächlich zu verdanken, dass er in Deutschland bekannt wurde – eben dem Land, wo während der Nachkriegswehen der Weimarer Republik seine treu-deutsche Mutter und der hassgeliebte Vater ihren kleinen Prügelknaben Heinrich Karl Bukowski in die Welt gesetzt haben.

Als er Anfang der Achtziger auf seiner legendären "Ochsentour" vor 1500 tobenden Fans in Hamburg seine einzige Lesung in Deutschland zelebrierte und nach 60 Jahren seinen Geburtsort Andernach wiedersah, da muss ihm diese "Welt" ziemlich fremd vorgekommen sein. Aber Deutschland ist eben Andernach und Hamburg nicht L.A.

Seine Epigonen werden jetzt trauern und ihrem Idol nachtrinken, sich dabei einen abdichten und ihre Verse werden meist auf schwachen Füßen stehen, weil sie einen (wo auch immer) eingeklemmten Schwanz mit einem eigenständigen Stil verwechseln und einen Sixpack Dosenbier für einen Sechser im Literatur-Lotto halten. Bukowski wird dabei zum Abziehbild ihrer Wunschträume und seine Themen zur Wichsvorlage degradiert, wobei das Leben kaum Spuren in den Texten und Gesichtern hinterlassen wird. Ganz im Gegensatz zu dem Mann mit der Ledertasche und dem Narbengesicht, der nicht umsonst seine Gedichte geschrieben hat, ehe er jetzt vom 8. Stockwerk des Parnass in eine ungewisse Zukunft sprang.

Sein Werk sei Trivialliteratur und Bukowski so etwas wie ein "Konsalik für Freaks", hat irgend so ein Nachwuchs-Kritiker kurz nach dessen Tod behauptet (was vermuten lässt, dass er weder den einen noch den anderen gelesen hat). Mit ungefähr der gleichen Berechtigung könnte man da auch behaupten, Bukowski wäre ein Stephen King für Spießer, oder ein Bhagwan für Alkoholiker.

In einer – ansonsten eher langweiligen – Zeitschrift für Literaten las ich im Januar, dass ein Auftritt Bukowskis als Dozent an der Wiener "Schule für Dichtung" geplant sei (wo zuvor u. a. auch Allen Ginsberg unterrichtet hatte). Dazu wird es jetzt nicht mehr kommen, und ich werde von Bukowski auch keine glatte Eins in die Fresse bekommen, weil ich ihn dabei erwischt und ihm eins seiner Gedichte vorgelesen habe. (Lest sein Gedicht "Angenommen, Sie würden kreatives Schreiben unterrichten – was würden Sie Ihren Studenten sagen?" 2 aus "Die Girls im grünen Hotel", und ihr werdet wissen warum.)

Für die, die mehr erfahren wollen, möchte ich am Schluss meines unqualifizierten Nachrufs noch die aufschlussreiche Bukowski-Biographie von Neeli Cherkowski empfehlen (Ende 1993 bei dtv erschienen), bei der man manchmal kaum glauben kann, dass Bukowski sie nicht selbst geschrieben hat und mir der Verdacht kam, dass Cherkowski nur ein Alter Ego von Henry Chinaski und dem Schlitzohr Charles Bukowski sein könnte.


1 Wer den ersten Satz liest, muss nicht erschrecken und sich dann fragen "Was, hat der noch gelebt?" – Bukowski ist schon lange tot. Am  9. 3. 1994 starb er im Alter von 73 Jahren an Blutkrebs. Am Tag danach habe ich seinen Nachruf verfasst, der im April 1994 in den Zeitschriften "Impressum" und "Der Störer" erschien.
Den Nachruf veröffentliche ich auch an dieser Stelle, weil Bukowski zu meinen Lieblingsautoren und literarischen Vorbildern gehört. Wem es vielleicht genauso geht, der kann hier Original-Manuskripte von Charles Bukowski (Gedichte und Briefe) lesen.

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2 Das Original-Gedicht mit dem Titel "Now, If You Were Teaching Creative Writing" erschien 1977 in "Love is a Dog From Hell".

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