September
2015
Siegfried Schüller
Deckel auf, Deckel zu. Schengen? - Geschenkt!
Jahrelang
wurde das ohnehin gebeutelte Griechenland allein gelassen mit den
Flüchtlingen, die von der Türkei her ins Land kamen. Jetzt ist es Ungarn,
das gleich in zweierlei Hinsicht als Europas Prügelknabe dient: als die, die
an ihrer Grenze prügeln und als die, die dafür ihrerseits (moralische) Prügel beziehen –
zu Recht, aber nicht völlig unscheinheilig. Schließlich haben sie nur
versucht das Schengener Abkommen mit allen Mitteln durchzusetzen und so bis
zum Gehtnichtmehr die Völkerwanderung von unseren Grenzen ferngehalten. (Ungarn hat übrigens im Verhältnis zur Einwohnerzahl aktuell den mit Abstand
höchsten Anteil
an Asylbewerbern in der EU.)
Als
es den Griechen und Ungarn schließlich zuviel wurde, und sie die Flüchtlinge
weiterziehen ließen, da war es ziemlich schnell auch mit unserer verbal
großzügigen Aufnahmebereitschaft vorbei und selbst das reiche Deutsch-Land
in kürzester Zeit überfordert.
"Alle
sind willkommen!" und "Wir schaffen das!", hatte Merkel gesagt. Ist
die Kanzlerin wirklich so naiv oder wollte sie nur unserer "notleidenden"
Wirtschaft helfen und den Sozialsystemen neue Beitragszahler zuführen? –
Nein, so zynisch ist sie wohl nicht.
Aber gut gemeint ist nicht immer gut getan. Erst denken, dann reden, wäre ratsamer gewesen. Bei völliger Fehleinschätzung der Lage vorher und der
Folgen danach, viel zu geringer Unterstützung der überforderten Kommunen und viel zu
späten und erfolglosen Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten – da klingt ihr "Wir
schaffen das" im Nachhinein eher wie ein überhebliches "Ihr
schafft das schon!"
"Dann ist das nicht mein Land", sagte sie ebenso gekränkt wie
trotzig, als Kritik an ihrer Politik geäußert wurde. Dann ist das
nicht mein Land! – Stimmt! Es ist unser aller Land, sie hat es nur gepachtet. – Es ist offenbar auch nicht ihr Europa. Andere Länder
verweigern sich Merkels Politik oder reichen die Flüchtlinge weiter.
Irgendwie verständlich.
Stellen Sie sich vor:
Sie haben einen reichen Nachbarn, der in einem großen Haus wohnt. In einem
Anfall unbedachter Großzügigkeit lädt er alle Notleidenden der Welt ein,
bei ihm zu wohnen. In Windeseile verbreitet sich die frohe Botschaft über das
ganze Neuland des Internets. Ihr Nachbar ist aber nicht vorbereitet, und als
ihm die Eingeladenen die Bude einrennen, da wird ihm das nach kurzer Zeit zu
viel. Als sie bald nicht nur durch die Haustür kommen, sondern auch über den
Gartenzaun und durch die offenen Fenster, fordert er Sie als Nachbarn auf, nun
Ihrerseits die Leute, die eigentlich zu ihm wollen, aufzunehmen. Wären Sie da
begeistert? Fänden Sie so ein Verhalten Ihres Nachbarn fair?
Proteste
und Gewalt gegen Flüchtlinge sind "abstoßend
und beschämend". Da hat Frau Merkel völlig recht. Aber erst lange zusehen, wie andere
von der Flüchtlingswelle überrollt werden und dann eine
Deckel-auf-Deckel-zu-Politik zu machen, ist auch beschämend. Dass sie mit einer
Politik des Aussitzens in Kohl'scher Manier nicht weiterkommt, hat sie
hoffentlich erkannt.
Wenn
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner
feststellt, dass die Flüchtlinge zur Linderung des angeblichen
Fachkräftemangels unserer Wirtschaft eher nicht geeignet sind, dann hat sie damit wohl recht.
–
Aber wären es nicht wenigstens billige Arbeitskräfte für den Wachstumswahn
unserer Gesellschaft? Und vielleicht neben Hartz IV ein weiteres Mittel, um Druck auszuüben auf die
Arbeitsbedingungen und Löhne hierzulande?
Da
zeigt sich die
ganze Heuchelei: Studiert und mit Facharbeiterbrief ist der Flüchtling am
willkommensten. Seine Herkunft ist dann nicht so wichtig, Hauptsache mit Diplom und
guten Zeugnissen. – Das Recht auf Asyl kennt aber keinen
Numerus Clausus.
"Schengen"
kann man sich offenbar schenken. Der Traum vom Schengen-Raum mit seinen offenen Grenzen
und Einlasskontrollen nur am Rand ist geplatzt, das
Schengener
Abkommen de facto bereits außer Kraft. Das Papier kann man in der Pfeife rauchen, die mittlerweile allerdings total
verstopft ist.
Und
das Märchen von der grenzenlosen, unbedingten
Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge hat ein offenes Ende. Es lautet: Und wenn sie nicht
gestorben sind, dann kommen sie noch heute.
Wer optimistisch denkt, ist nur zu feig
zum Fürchten.