Au Weimar! *
Heute, Montag, bleibt die
Fürstengruft
wegen Sonderreinigung geschlossen.
(Achtung, bei widerrechtlichem Betreten
wird mit Sagrotan geschossen!)
Werden schon wieder die
Knochen geputzt? 1
Die Frau vom Reinigungskommando schaut verdutzt
auf diese Frage, dann lacht sie: "Nein, diesmal nicht.
Wir putzen nur die Sarkophage."
"SeinSe froh, dass Sie
nicht runter müssen
in die Gruft. Ich sag Ihnen: Da unten
herrscht eine Luft, die man den Leuten
gar nicht zumuten kann."
Der Dichterfürst bleibt
also unbesucht –
er liegt ja nicht alleine. Wir sparen 7 Euro
Eintrittsgeld (Nicht alles, was hier stinkt,
ist alter Moder und Gebeine).
Aus den Gräbern der
Vergangenheit
geht es hinein in die Stadt,
die ihre neuen Fundamente
auf toten Ruhm gegründet hat.
Goethe-Kaufhaus,
Schiller-Kaufhaus, Müllermarkt –
vom Prauenflan bis zum Pheatertlatz 2
Juweliere, Souvenire, kulturelle Alphatiere –
alles hat hier seinen Platz.
Vom Phoeteglatz zur
Hraubausgasse: 2
Schillernudeln, Goethelocken,
Pizza, Döner, Pferdeäpfel,
Kaffeeklatsch und Kutschenglocken.
Schulklassen, Scharen von
Hausschau-Touristen,
mit und ohne Führer angegreist –
hundert Fahrradständer vor der Mensa
und Bauhaus-Studenten, jünger meist.
Aus der Stadt hinaus in den Park
an der Ilm:
Pärchen, die sich küssen vor romantischen
Ruinen zwischen Grün wie alte Film-
Kulissen ... und Goethes Gartenhaus.
Das Spalier an der Fassade: leer
gestapelte Gedankenstriche –
und der Garten, fast ein Park,
umrahmt gepflegt das Dichterliche.
4 Euro 50 pro Person
verlangen sie
für die Besichtigung der Dichtermöbel.
An der Kasse gibt es Goethe-Krempel
und den Gedanken an Krämer im Tempel.
Das kulturelle Erbe,
hier wird es gerecht
verteilt an die, die es sich leisten können.
Das bunte Faltblatt für 1,50
bleibt, was wir uns gönnen.
Doch Goethes Gartenhäuschen
gibt es gratis
(gleich beim WC für die Besucher-Meute).
Die Geräte sehen brauchbar aus –
sie gehören den Gärtnern von heute.
Mann fragt sich: Wo ... ging
Johann W. aufs Klo?
Ihr Kulturverwalter, dass ihr’s wisst:
Am dicksten Baum im Park
habe ich … an euch gedacht.
* Um Missinterpretationen vorzubeugen:
Weimar ist natürlich eine
sehenswerte Stadt. Wer genau hinschauen will, wird
allerdings feststellen,
dass sie auch sehensteuer ist.
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1
Von 2006
bis 2008 wurden die Särge in der Weimarer Fürstengruft
geöffnet, gereinigt und die enthaltenen Gebeine genetisch untersucht.
Dabei
stellte sich heraus, dass es nicht nur zwei
Schillerschädel gab,
sondern dass auch keiner von beiden der echte sein
konnte.
Die fast unglaubliche Geschichte von Schillers falschen Knochen kann
man
in einem unterhaltsamen Artikel
in "Potz Blitz", der Hauszeitschrift
des SchillerGartens zu
Dresden-Blasewitz (auf Seite 12/13 der pdf-Datei)
nachlesen.
Wer sich statt mit falschen Schillerschädeln lieber mit dem beschäftigt,
was
im echten vor sich ging, dem kann hier geholfen werden:
"Das
peinliche Genie".
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2 Hier waren
Wortverdreher am Werk: Frauenplan, Theaterplatz,
Goetheplatz und Brauhausgasse
muss es richtig heißen.
Bei einer nächtlichen Kunstaktion
am 13. August 2010 hatten Studenten
der Weimarer Bauhaus-Universität
die Straßen kurzerhand umbenannt.
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