Worte gegen den Wind ... Die Seite mit kritischer Lyrik und Satire

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Zorniges Poem

Zwei 11. September

Zwei kurze


Als Aushilfe vor Weihnachten im Versandhaus: harte Arbeit, schlechter Lohn, miese Chefs, gute Kollegen. Kann man sich als Einzelner gegen Mobbing und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wehren?
Hier erfahren Sie, wie das geht und hier geht meine alternative Adventsgeschichte zu Ende.

Siegfried Schüller

Chaos im Versandhaus (Teil 6)

In der Leitzentrale empfingen ihn fünf Leute: Hallenleiter Röck mit seiner Assistentin, zwei krawattierte höhere Händle-Herren und eine Dame, die sich als Vertreterin des Betriebsrats vorstellte. Vor den zwei Tischen, hinter denen sie auf ihren Bürosesseln saßen, stand ein einfacher Holzstuhl. Auf dem durfte Georg Platz nehmen.

Zuerst stellten sie ihm harmlose Fragen zu seiner Tätigkeit bei Händle im Allgemeinen, dann wollten sie genau wissen, wie es zu den Vorfällen vom Vortag gekommen war.

Georg berichtete von den drei vollen Containern, die auf einen Schlag an der Rampe gestanden waren. "Da haben wir halt einen ordentlichen Zahn zugelegt, damit wir die schaffen", sagte er. "Wir waren ja auch nur zu dritt." – "Nein, was in der Halle los war, haben wir nicht mitbekommen, aber als der Alarm losging, haben wir natürlich sofort aufgehört mit dem Ausladen."

Röck und seine Assistentin warfen sich verstohlen einen Blick zu, sagten aber nichts.

Die Betriebsrätin fasste schließlich das Ergebnis der Befragung mit einem Satz zusammen: Nach dem, was er, Georg, gesagt habe und nach den übereinstimmenden Aussagen seiner beiden Kollegen sei eigentlich klar, dass alle drei nur ihre Arbeit gemacht hätten. „Und das sogar mit besonderem Eifer“, betonte sie mit einem Lächeln in Richtung Georg.

Die beiden Krawattenträger blätterten noch eine Weile in ihren Unterlagen und flüsterten sich etwas zu. „Danke, Herr Müller“, sagte dann der, der in der Mitte saß. „Sie sind entlassen.“

 Georg schluckte.

„Das heißt, Sie können wieder zurück an Ihre Arbeit gehen“, fügte der Händle-Mann hinzu, als er Georgs fragenden Blick bemerkte.

Draußen auf der Stahltreppe atmete Georg auf. Mit jedem Schritt nach unten hatte er das Gefühl leichter zu werden.

 

Nachdem die Untersuchung abgeschlossen war, durften Georg und seine beiden Kollegen unbehelligt weiterarbeiten und sogar der Ton des Hallenleiters wurde vorübergehend etwas freundlicher.

Ullrich war danach ziemlich kleinlaut. Er war zum Päckchenstapler degradiert worden und arbeitete jetzt in der Halle Seite an Seite mit seiner Frau. Er schien darüber gar nicht einmal so unglücklich zu sein. Ab und zu sah man ihn sogar lachen.

Vassílis durfte wieder in Ruhe Päckchen stapeln und Peter stieg zum "Springer" auf, das heißt, er musste immer dort aushelfen, wo gerade Not am Mann war. Georg schließlich wurde sogar zum Hubwagenfahrer befördert.

Sein sächsischer Kollege ging ihm seltsamerweise von da an aus dem Weg, redete kaum noch mit ihm und setzte sich in der Kantine an einen anderen Tisch. "Vielleicht ist er neidisch und denkt, ich wäre nur darauf aus gewesen einen besseren Posten zu ergattern", dachte Georg. Ihm lag aber nichts ferner als das. Es war ihm schlicht egal, was er in diesem Laden für einen Job machte – wenn er auch froh war, dass er jetzt wenigstens ein bisschen Spaß bei der Arbeit hatte und keine ganz so öde und anstrengende Tätigkeit mehr. – Georg hoffte auf Weihnachten.

 

Zwei ziemlich dunkelhäutige Inder waren die anderen, festangestellten Hubwagenfahrer. Beide hießen mit Nachnamen Singh, waren aber nicht miteinander verwandt. Sie gehörten der indischen Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Der ältere nannte sich Mandy und trug nach der Arbeit immer einen kunstvoll gewickelten Turban. Der jüngere, Sandy, nahm es wohl nicht so genau mit den Bräuchen der Sikhs und ging oben ohne. Trotzdem sahen sie aus wie Brüder und schienen unzertrennlich.

Beide verstanden einigermaßen gut deutsch, freuten sich aber, dass sie sich mit Georg auch auf Englisch unterhalten konnten. Sandy zeigte ihm, dass man auf dem Hubwagen wie mit einem Tretroller fahren konnte. Die Arbeit ging so erstens schneller und machte zweitens auch noch Spaß. Und so sauste Georg bald durch die Gänge zwischen den einzelnen Postleitzahlenbereichen – immer auf der Suche nach vollgestapelten und fest verschnürten Versandpaletten.

 

Aus irgendeinem Grund waren Sandy und Mandy überzeugt, dass Georg einmal Filmschauspieler werden würde. Davon ließen sie sich auch nicht abbringen, als Georg derartige Absichten dementierte. Er musste versprechen, dass er ihnen später – wenn es mit der Schauspielerei soweit wäre – zumindest eine kleine Nebenrolle verschaffen würde.

Bis dahin teilten sich die beiden Inder auch den Job des Staplerfahrers, der draußen auf dem Bahnsteig die versandfertigen Paletten in die Güterwaggons bugsieren musste.

Auf dem großen Gabelstapler sitzen und damit herumfahren war zwar keine körperlich besonders anstrengende Arbeit, aber bei den frostigen Temperaturen im Freien war man – trotz warmer Kleidung – schnell bis auf die Knochen durchgefroren.

Wenn der eine die Kälte nicht mehr aushielt, kam er zurück in die Halle und der andere löste ihn ab. Als Sandy einmal mit seinen dicken Fellhandschuhen, der pelzumrandeten Kapuzenjacke und dampfend wie ein Walross hereinkam, musste Georg lachen. „You look like a real Indian Eskimo“, sagte er.

Dass er aussehen sollte wie ein echter indischer Eskimo fand Sandy in diesem Moment aber längst nicht so lustig wie Georg. Sandy wischte sich die kleinen Eiszapfen weg, die ihm von der Nase hingen und was er dann sagte, gehört nicht zu dem, was man im Englischunterricht lernt.

Sonst waren die beiden Singhs aber immer gut gelaunt und ständig zu irgendwelchen kleinen Streichen aufgelegt – und das, obwohl sie zur Stammbelegschaft gehörten.

Georg verstand sich jedenfalls gut mit den beiden, und so verbrachte er die Zeit bis kurz vor Heiligabend in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre.

Nur in den letzten Tagen seines Jobs bei Händle musste Georg dann doch noch einmal hinaus auf die Laderampe, weil zwei neuen Männer dort krank geworden waren. Den Job als Aufseher hatte inzwischen Kalle, Ullrichs ehemaliger Gehilfe, übernommen. Meistens arbeitete er jetzt sogar mit.

 

Als in der vorletzten Schicht vor Weihnachten eins der Pakete etwas unsanft auf dem Förderband landete, da ertönte plötzlich das gedämpfte Kling-klang einer Spieluhr. Durch den Aufprall war wohl ihr Mechanismus ausgelöst worden. Das Paket spielte jedenfalls die Melodie von "Stille Nacht, heilige Nacht".

Georg und seine Kollegen blieben stehen, lauschten und schauten zu, wie das Paket auf dem Förderband nach oben fuhr, bis es mitsamt der stillen Nacht hinter dem schwarzen Lederlappen verschwand, der den Durchlass zur Halle abdeckte.

 Ihnen war auf einmal sehr weihnachtlich zumute. Keiner sagte etwas, nur noch die Rollen des Fließbands waren zu hören und für eine Weile schien die Welt ganz in Ordnung, wie sie war.

 

Dann plärrte der Lautsprecher: "Hey, was ist los da draußen! Seid ihr alle eingeschlafen?"

 

Ende


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